Sabine Postel
"Es gibt keine
Stadt auf der Welt,
in der ich so oft bin,
wie in Bremen."
Ein Tag Drehpause, nicht vom Tatort "Brüder", der ist schon im Kasten, sondern von der Serie "Die Kanzlei". Heute hat Sabine Postel etwas mehr Zeit für ein Gespräch.
Morgen früh geht's für die vielbeschäftigte Schauspielerein weiter mit Dreharbeiten im Hamburger Hafen.
"Möchten Sie einen Kaffee?", fragt Gitta Deutz, die Presseagentin von Sabine Postel, "... oder einen Capuccino?" Ich nehme den Capuccino. Frau Postel ist gut
gelaunt, sieht entspannt aus, keine Spur vom Kommissarinnen-Stress, aber wahr-scheinlich wird dieser der Filmfigur vorsätzlich auf die Stirn geschminkt.
TOPIC: "Sie sind schon sehr lange dabei beim Bremer Tatort ..."
POSTEL: "...erschreckend lange ..."
TOPIC. "Warum erschreckend?"
POSTEL: "... seit '97, das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, zu der Zeit gab es überhaupt keine Frauen bei den Krimis. Da haben es tolle
Schau-spielerkolleginnen wie Karin Anselm oder Nicole Heesters versucht, aber die Zeit war nicht reif. Frauen als Polizistinnen? Um Gottes Willen, nee! Man konnte Herrn Tappert sehen und wollte
danach mit Ruhe ins Bett. Dann war ja Ulrike Folkerts da, die musste damals auch sehr maskulin agieren, damit sie überhaupt 'ne Akzeptanz kriegt. Dann war ewig nichts. Und dann kam ich und wieder
war eine lange Zeit nichts. Das war eine ganz andere Zeit, das ist mir neulich erstmal richtig klar geworden."
TOPIC: "Haben Sie zu der Zeit denn geahnt oder gehofft, dass Ihre weibliche Kommissarrolle ein Erfolg wird?"
POSTEL: "Das konnte ich mir überhaupt nicht vorstellen. Ich hab' gedacht, machste das mal, mal von der Mutterrolle weg, ich habe in der Zeit ja 'Nicht von schlechten
Eltern' gedreht.
Die Gefahr war schon da, dass ich in die sympathische Mutterrolle-Schublade rutsche. Ich habe mich gefreut über das Angebot von Radio Bremen.""
TOPIC: "Prägt eine Filmfigur über eine so lange Zeit auch Ihren normalen Alltag?"
POSTEL: "Nein, das wäre ja schlimm, wenn man immer nur sich selber spielen würde. Es fließt natürlich eine Menge ein, in die Rolle.
Mein geliebter Dieter Pfaff hat mir kurz vor seinem Tode - wir hatten ein längeres Gespräch - gesagt: 'Weißt du, es gibt viele gute Schauspieler, es gibt auch
sehr gute, aber die Schauspielerkollegen, die von den Leuten wirklich gemocht oder geliebt werden, das sind die, die dem Zuschauer das Gefühl geben, dass sie ehrlich, dass sie authentisch
sind.'
Dazu gehört natürlich auch, dass ein bestimmter Prozentsatz, vielleicht sind es fiffti-fiffty oder zweidrittel von einem selber mit einfließt."
TOPIC: "Ja, und wie es umgekehrt, fließt aus der Filmrolle etwas in ihr Privatleben ein?"
POSTEL: "Es gibt viele Dinge im Film, die haben mit mir überhaupt nichts zu tun. Ich könnte zum Beispiel diesen Beruf gar nicht ausüben. Ich bin couragiert in meiner
Haltung, zeige da Rückgrat, bin sehr gerade und offen, aber ich bin ein ganz großer Schisser, ich könnte nie im wirklichen Leben nachts mit einer Pistole Gangster verfolgen, das würde ich mich im
Leben nicht trauen."
TOPIC: "Aus welchem Grund? Weil Ihnen Pistolen nicht liegen oder ...?"
POSTEL: "Weil ich ein Kopfmensch bin oder auch ein großer Bedenkenträger und weil ich dann immer überlege 'was kann passieren, wenn ... Und das ist die falsche
Haltung, wenn man so 'nen Beruf hat."
TOPIC: "Eine gewisse Konsequenz ist da schon von Vorteil. Im Film spielen Sie doch eine sachlich und rational gepolte Hauptkommissarin."
POSTEL: "Ja, das eint uns, die Privat-person und die Filmfigur, diese Boden-ständigkeit, diese Gradlinigkeit, auf Dinge zuzugehen, auch der Glaube an das Gute
und immer noch denken, dass man die Welt zum Positiven verändern kann, wenn man sich nur genug Mühe gibt ... das ist schon etwas, was die Charaktere verbindet. Alles andere ist halt
Rolle."
TOPIC: "... eben nur Film, Illusion ..."
POSTEL: "Auch dieses Einzelkämpfertum, dieses 'niemanden brauchen wollen' ... die Hauptkommissarin hat ja keinen, die Ehe ist verkorkst, die Beziehung verkorkst, das
Verhältnis zur Tochter genauso, sie hat nur ihre Kollegen, ihre Arbeit ... im Grunde ist das traurig. "
TOPIC: "Ja, nicht gerade die Sonnenseite. Wie sieht denn Ihr privater Alltag aus?"
POSTEL: "Ich habe vor kurzem festgestellt, dass ich den vergangenen zwei Jahren zusammengenommen fünfeinhalb Wochen nicht gedreht, also nicht gearbeitet habe. Das,
was man gemeinhin als langweilig bezeichnen würde, ist für mich die wahre Wonne: im eigenen Bett aufzuwachen, am eigenen Tisch zu frühstücken, mit dem Hund spazieren zu gehen, bisschen was im
Garten machen, das finde ich herrlich."
TOPIC: "Doch diese Herrlichkeit dauert nur kurz."
POSTEL: "Es ist nun nicht so, dass ich unglaublich vielem Freizeitvergnügen fröhnen könnte. Aber das ist auch nicht schlimm, es wäre ein Jammern auf sehr hohem
Niveau, denn viele von uns Schauspielern haben ja nicht mal einen Job ... insofern ist alles gut, so wie es ist."
TOPIC: "Haben Sie bei der ausgefüllten Arbeitszeit eine bestimmte Methode zur Entspannung?"
POSTEL: "Entspannung ist mein Privat-leben. Ich versuche die knappe Zeit, die ich habe, mit der Familie zu verbringen."
TOPIC: "Familie heißt ...?"
POSTEL: Familie heißt: mein Sohn, meine Eltern, mein Lebensgefährte, mein Hund. Leider sehe ich meinen Sohn zurzeit nicht so oft, weil er in London lebt. Wir fahren
aber immer einmal im Jahr zusammen in Urlaub."
TOPIC: "Was macht ihr Sohn in London?"
POSTEL: "Er hat dort Regie studiert und jetzt seinen Bachelor gemacht, macht dann noch seinen Master und dann ... woll'n wir mal
gucken."
Sie ist seit 17 Jahren
Hauptkommissarin Inga Lürsen
im "Tatort" von Radio Bremen und
hat in 'zig Filmen und TV-Serien gespielt
TOPIC: "Für die beiden Tatort-Produk-tionen im Jahr halten Sie sich lange in Bremen auf. Wie intensiv die Beziehung zu der Stadt?"
"Ich bin ein
Familienmensch,
leider fehlt mir
oft die Zeit für
Familienpflege"
POSTEL: "Sie dürfen nicht vergessen: Ich verbringe seit einundzwanzig Jahren einen großen Teil des Jahres in Bremen. Es gibt keine Stadt auf der Welt, in der ich so
oft bin ..."
TOPIC: "Darauf können sich die Bremer Bürgerinnen und Bürger was einbilden."
POSTEL: "... nicht mal Köln, wo ich wohne. Deshalb habe ich schon eine ganz starke Beziehung zu der Stadt. Ich bin gerne hier, bin Ehrenkommissarin der Polizei,
meine Handabdrücke sind in der 'mall of fame' verewigt ...
... ich habe den Bremer Stadtmusikantenpreis und als Auszeichnung gab es ein wunderbares Bild von Loriot. Das Bild hängt bei mir in Küche."
TOPIC: "Dann kennen Sie ja den letztes Jahr eingeweihten 'Loriotplatz' ..."
POSTEL: "Ja, helfen Sie mir mal kurz, der ist doch dort, wo das Sofa steht ..."
TOPIC: "Das Sofa steht vor dem Radio-Bremen-Gebäude. Über die Wahl des Platzes gab es eine heiße Diskussion. Der endgültige nach Loriot benannte Platz liegt aus
meiner Sicht etwas außerhalb der Schusslinie, an den Wallanlagen ..."
POSTEL: "Das ist auf jeden Fall besser als ein normaler Parkplatz. Einen Platz nach dem Mann zu benennen, der für Bremen so wichtig und so beliebt war, war
fällig."
TOPIC: "Eine Ihrer Beziehungen zu Bremen ist Ihr Engagement als Botschafterin für trauernde Kinder und Jugendliche. Was war der Anlass?"
POSTEL: "Der Anlass war, dass Thomas Schaaf, den ich damals nicht kannte, mich fragte, ob ich mich bei 'Trauerland' engagieren möchte. Anfangs konnte ich mir das
nicht vorstellen, aber er hat mich aber dann doch überredet. Ich musste mich nicht vor Ort mit dem Schicksal der Kinder konfrontieren, dafür gibt es ja Therapeuten. Es geht vielmehr darum, für
einen Verein, der sehr ehrenwert und honorig arbeitet und keine Fördergelder bekommt, möglichst viele Spenden für die Kinder zu sammeln. Das habe ich mit großer Freude gemacht und ich denke, ich
habe ein Stück dazu beigetragen, mehr Öffentlichkeit herzustellen.
Die Arbeit des Vereins ist wichtig. Ich habe selber am eigenen Leibe erfahren, dass die Kinder und die Eltern, wenn jemand Geliebtes stirbt, sehr alleine sind.
Eigentlich sollte es einen solchen Verein mit diesem guten Konzept in jeder Großstadt geben."
TOPIC: "Sie sind nicht nur imaginär, sondern auch persönlich dort tätig!?"
POSTEL: "Mein zweites Engagement sind "Die Wolkenschieber". Bei den bisher vier Veranstaltungen sind mittlerweile schon fast eine Million Euro zusammen gekommen, und
das nur aus dieser Region.
Ich bin von Anfang an dabei. Zu den Leuten, die auf diesen Veranstaltungen servieren, gehören prominente, unter anderem Oliver Mommsen und ich, da haben Ina Müller
und Peter Maffay gesungen, da kochen Sterneköche – das Konzept ist, dass alle unentgeltlich auftreten. Die Lebensmittel und die Weine werden gespendet."
TOPIC: "... und die gesammelten Spenden und Eintrittsgelder gehen direkt an die Kinder ..."
POSTEL: "... an Kinder-Hospize, an behinderte Kinder, an Waisenhäuser - die es leider auch gibt - und an einzelne Fälle. 'Die Wolkenschieber' ist ein Zusammenschluss
von Firmen und Privatleuten. Dort habe ich auch meinen Lebensgefährten kennenlernt, der Mitbegründer dieser Vereinigung ist ..."
Die Tür geht auf und Gitta Deutz zeigt ihre ausgestreckte Hand. Fünf Finger. Fünf Minuten noch. Das reicht für die Frage nach einer Lebensweisheit und ein paar
Fotoklicks.
POSTEL: "Mir fällt spontan nicht Griffiges ein. Ich sehe das so: Man darf sich nicht unterkriegen lassen. Unser aller Leben verläuft nie gradlinig, es gibt Verluste,
es gibt schwierige Situationen ... Man muss versuchen, das Leben immer wieder positiv zu sehen."
-tja-
Seit 1997 ist Sabine Postel
vor allem als Kommissarin
Inga Lürsen im "Tatort" von
Radio Bremen bekannt
Die Schauspielerin und
Synchronsprecherin füllt eine
lange Liste an Filmen,
Hörspielen und TV-Serien
Ab 2008 ist sie die
Juristin Isabel von Brede
in der Fernsehserie "Der Dicke"
- bis 2013 an der Seite von
Dieter Pfaff. Nach dessen
plötzlichem Tod wird die Reihe
als "Die Kanzlei" fortgesetzt -
mit Sabine Postel und
Herbert Knaup in den Hauptrollen
Bremer Auszeichnungen
und Engagement:
* Seit 2005: Botschafterin im
Bremer Zentrum für trauernde
Kinder und Jugendliche e.V.
* 2008: Händeabdruck
in der "mall of fame"
* 2010: Stadtmusikantenpreis
* "Die Wolkenschieber
* 2013: Ehrenkommissarin
Internationale Auszeichnungen:
* Jakob-Kaiser-Preis
* Fernsehpreis der
Akademie der Künste
* Medienpreis "Bambi"
Autogrammadresse:
Sabine Postel
c/o ZAV Künstlervermittlung Köln
zav-koeln-kv@arbeitsagentur.de
Kommentar
TOPIC Comment zum Bremer Tatort "Brüder"
von Take Janssen
Hart an der Realität
Angst verbreiten. Das ist die Methode, mit der der libanesisch-kurdische Familien-Clan Nidal im Tatort-Film seine Machtstellung in der Stadt Bremen
ausbaut. Um seinen Einfluss und seinen Profit durchzusetzen, scheut der Clan weder Erpressung, Körperverletzung noch Mord. Von den Einschüchterungen bleiben keine Gesellschaftsschichten
verschont, von Wirtschaft über Politik bis in den Gerichtssaal reichen die Manipulationsversuche. Und die Personen an den entscheidenden Stellen kuschen. Es ist ja nur Film.
Handlung: Die Polizisten Anne Peters und David Förster werden zu einem Notruf aus dem Hafengebiet geschickt - ein Mann fühlt sich bedroht. Der
Einsatz eskaliert. Anne wird lebensgefährlich zu Boden getrampelt. Als die Bremer Kommissare Inga Lürsen und Nils Stedefreund eintreffen, sind David, der Mann und die Täter verschwunden. Indizien
deuten darauf hin, dass der Mann ermordet worden ist. Die Bremer Hauptkommissare finden heraus, dass David und Anne unvermutet die Aktivitäten eines kriminellen Clans gestört haben. Als David
wieder auftaucht, weicht er den Fragen zum Tathergang aus. Hat der Clan etwas gegen ihn in der Hand?
Ein blutiges Spiel um Recht, Ordnung und Moral beginnt. Wobei diese Kategorien nur auf der bremisch-deutschen Seite zu finden sind und damit zur
Ohnmacht verdammt sind.
Provokation, Respektlosigkeit und die schonungslose Konsequenz des Bösen sind es, die ihm immer wieder die Vormachtstellung verschaffen. Sehr
deutlich wird das in der Szene, als Polizist David versucht, mit seiner Maschinenpistole einen der moralisch verfaulten Gestalten in Schach zu halten, dieser jedoch unbeeindruckt schreit: "Schieß
doch, schieß doch!" David schießt nicht, er flieht.
Oder die Szene in der Sauna. Eine Drohgebährde reicht aus, um den schwitzenden Richter zu einer anderen Sichtweise der Anklage zu bewegen.
Auslegungssache eines Gesetzes heißt es dann. Aber es ist ja nur Film.
Einmal bricht die Wut tatsächlich aus. Hauptkommissarin Inga Lürsen, die für gewöhnlich in ihrer Rolle rational ermittelt, explodiert emotional und
kontert erfolgreich mit körperlichem Einsatz die Spuckattacke eines Clanmitglieds.
Nachher bellt Kommissar Stedefreund sie an: "Wie lange machst du den Job schon? Genau das wollen die doch!"
So hart an der Realität wie der Tatort "Brüder" auch ist, ganz frei von den typischen Krimi-Unlogiken bleibt dieser auch nicht.
"Respekt verschaffen lernen" soll sich auf Befehl seines Vorgesetzten nun auch David in einem Brutalitäts-Training, der von "Sunny" geleitet wird.
Man kann also davon ausgehen, dass dieser Sunny - im Film Mesut Sömnez von Matthias Weidenhöfer dargestellt - der Polizei intern bekannt ist. Unlogisch ist dabei, dass Kommissar Stedefreund Sunny
heimlich fotografieren, das Foto scannen und ein Computerprogramm bemühen muss, um danach erst zu erfahren, zu wem das Gesicht gehört.
Und die Frage drängt sich auf, wie sich denn die "gute Seite" Respekt verschaffen soll, wenn schon bei der Vernehmung eine psychologisch ungünstige
Tisch-Sitz-Ordnung gewählt wird, die dem Hauptverdächtigen die Position eines Vorstandsvorsitzenden zuteilt, womit sich die Kommissare zu Nebenfiguren degradieren.
Aber es ist ja alles nur Film.
Der entscheidende Anstoß zum Drehbuch waren für die Autoren Wilfried Huismann und Dagmar Gabler Begegnungen mit Menschen, die in die Fänge eines
Familienclans geraten waren.
"Sie fühlen sich von unserem Rechtssystem im Stich gelassen, obwohl sie Angst um ihr Leben hatten und haben. Diese Angst haben auch Zeugen, die sich
nicht mehr trauen, vor Gericht auszusagen. Darüber reden viele Menschen, aber keiner weiß so richtig, wie er damit umgehen soll." Das ist kein Film.
Dieser Bremer Tatort geht aufgrund seiner Realitätsnähe zu den örtlichen Verhältnissen - es sollen allein in Bremen rund drei Tausend
"Familienmitglieder" agieren - unter die Haut und schleust sich in den Gedankenkreislauf.
Denn: Brutalität könnte jederzeit jeden treffen. Das ist es, was hängen bleibt.
Die lokale Politik weiß aber zu beruhigen: Die Bremer Bürgerinnen und Bürger haben nichts zu befürchten, da sich die kriminellen Machenschaften - so
die offizielle Senatorenaussage - im Hintergrund abspielen. Wie im Film.
- Take Janssen -