Jurek Lamorski - in memoriam

Mein erstes Treffen mit Jurek in einem Zug von Berlin nach Hamburg

Viel zu früh ist Jurek Jerzy Lamorski in eine andere Daseins-Ebene gewandert. Jurek war ein herzensguter und weiser Mensch, ein Poet und genialer Musiker. Die geplanten Veranstaltungen mit ihm und seinem Quartett in Bremen haben wir nicht mehr realisieren können.

 

Take Janssen

"Ist der Platz noch frei?", frage ich und Jurek antwortet: "Den habe ich für Sie frei gehalten."
Wir lachen und ich sage: "Genau das ist auch mein Spruch, wenn mich jemand fragt ... sofern mir die Person sympathisch ist."


Das war im Zug von Berlin nach Hamburg und aus dieser Begegnung entwickelte sich  zunächst ein anregender Gedankenaustausch und später eine Menschenfreundschaft über Zeit und Raum hinweg. Seelenverwandtschaft nennt man das wohl.


Ich ahnte nicht, welch virtuosem Musiker ich gegenüber saß, der professionelle Künstler stand auch nicht im Vordergrund, dennoch bildete Musik in dieser Stunde eine Brücke zu den unterschiedlichsten Themen.


Ich erfuhr auch, dass Jurek eine innigliche Liebe zu seiner Mutter, seiner "Mama" in Polen, empfand, sie verehrte und er sie so oft es ging besuchte.

 

Leider nicht oft genug. Sein Herz weinte, denn er wusste: irgendwann kommt sie, die Reue, aber dann - irgendwann - wird es zu spät sein, zu spät für Besuche. Jurek empfahl mir, meine Eltern zu besuchen, so lange es möglich ist, in der Jetztzeit, denn Mutter und Vater zehren von der Zuneigung ihrer Kinder.


Zu spät ist es auch für unser Vorhaben, mit Jurek Lamorski und seinem Quartett ein Konzert in Bremen zu veranstalten, Tango vielleicht oder Fado oder russische Balladen, etwas für die Seele sollte es werden.


Zu spät ist es für seinen Wunsch, ein eigenes Musikstück zu einer historischen Bremer Persönlichkeit - zu Rolanda von Bremen - zu komponieren.

 

Er schrieb mir Emails und immer war ein Gedicht, ein Zitat, eine Lebensweisheit oder ein eigener lyrischer Gedanke voran gesetzt. Ich bekam Nachrichten, manchmal nur ein Wort, von den Orten dieser Welt, wenn Jurek dort ein Gastspiel gab.

 

Mit vielen bekannten Künstlern hat Jurek Jerzy Lamorski gearbeitet, er hat sie begleitet, auf Szenefestivals, im Radio, live auf der Bühne oder als Studiomusiker.


Er galt als einer der besten Akkordeonisten der Welt, musikalische Grenzen schien es für ihn nicht zu geben; zarte, fast zerbrechliche Töne oder aggressive und kraftvolle Läufe ... melancholische, slavisch-tragende Emotionen oder jauchzende und beglückende Himmelsrufe ... auf Altarstufen sitzend und seine Musik zum Gebet mutieren lassen ... immer hat er seine ganze Seele und sein übervolles Herz hineingelegt. Das entsprach seiner Lebensphilosophie.


Jurek Jerzy Lamorski wurde im polnischen Nowa Ruda geboren. Hamburg war sein zweites Zuhause. Bis 2012.


Wie es seiner Mama wohl geht ...?



JUREK LAMORSKI - IN MEMORIAM - *1950 + 2012


 

Mehr Info: >> lamorski.com


Kommentar von Gabriel Laub

 

 Ich bin kein Musikfachmann und kann nicht wissenschaftlich erklären, warum ich Jurek Lamorski und sein Akkordeon so gerne höre. Ich weiß nur, daß ich ihm stundenlang zuhören könnte. Schließlich bestätigen mich die unzähligen Hörer, die er live oder im Rundfunk begeisterte. Es bestätigen mich viele bedeutende Musiker, die gerne mit ihm zusammen auftraten. Ich würde aber auch ohne diese Bestätigung Jurek's Fan bleiben.

Wahrscheinlich kommt das davon, daß Jurek so in die Musik verliebt ist, er ist nach ihr verrückt, er ist ihr verfallen, wie man selbst der dämonischsten Frau nicht verfallen kann. Jurek ist voller Musik, sie ist sein Gefühl und seine Gefühle sind Musik. Dieser Liebe, und nicht nur Jurek's Virtuosität – er spielt Akkordeon seit seinem sechsten Lebensjahr – verdanken wir die weiße Magie seines Spiels, die die Musik in uns eindringen läßt; sie macht es, daß ein altes Volkslied bei Jurek klingt, als ob es soeben zu unser Freude geboren wurde und eine neue Komposition so, als ob sie seit jeher unsere Lieblingsmelodie gewesen wäre.

Jurek's Akkordeon geht fremd, Gabriel Laub bleibt sich treu. Das Akkordeon – nur grammatikalisch ein Neutrum – betrügt, von Jurek Lamorski verleitet, die betagten Damen Volkslied und Schlager, mit der viel jüngeren Miss Jazz. Diese Mesalliance ist – wie im Leben – für alle Beteiligten besonders reizvoll: für das Akkordeon, für den Jazz, für den Musiker und für das Publikum.

Jurek's Akkordeon erwidert offenbar seine Liebe, es läßt mit sich alles machen, auch Dinge, die ihm niemand zugemutet hätte.   

 

Gabriel Laub (* 24. Oktober 1928 in Bochnia, Polen; † 3. Februar 1998 in Hamburg) war ein mehrsprachiger (polnisch, russisch, tschechisch und deutsch)[1] Journalist, Satiriker und Aphoristiker polnisch-jüdischer Herkunft.


in memoriam: Jurek Jerzy Lamorski - veröffentlicht im TOPIC life