Theater am Goetheplatz, Bremen

Text: Take Janssen  |  Foto: Jörg Landsberg
Text: Take Janssen | Foto: Jörg Landsberg

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"Perpetuum Mobile" von Urs Dietrich im  Theater am Goetheplatz

 

Zwei Seelen tanzen, ach, in meiner Brust

 

Die eine Seele ...

 

... ist die des normalen von der Kulturwissenschaft unbeleckten Bürgers.

Sie verwendet die fünf Sinne, mehr nicht. Sie denkt, Tanztheater, das ist wie Dielenstepp, wie fernsehen, nur näher dran, eigentlich mittendrin.

Diese Annahme bewahrheitet sich schon im ersten Akt, ach was, Akte gibt hier schon lange nicht mehr, das zeigt sich ziemlich nahe, so empfindet es das für Distanz zuständige Individualgefühl, in den ersten Minuten, als die Darsteller - Tänzerinnen, Tänzer und Schau-spielerInnen - unverhofft, auf den Rand der Bühne zustürmend und verweilend, teils gestikulierend, teils einfach nur in die Menge starrend, dieser Menge das Gefühl gibt: "Jetzt bist du an der Reihe!" Wie auch immer.

Also, wenn ich als normales Seelchen nicht die Einführung vor der Aufführung mitgenossen hätte, wüßte ich jetzt nicht, was soll es bedeuten ... aber jetzt weiß ich es, zumindest erahne ich, was es mit dieser Szene auf sich hat. Nämlich? Dass der Zuschauer respektive Zuschauerin ein Teil des ganzen ... Raumes ist. Denn um den Raum an sich geht es. Und da der Raum nicht nur aus Bühne besteht, sondern auch aus mehreren Elementen, ist es nur logisch, dass die Besucher dazu gehören. Mal ehrlich, fragt sich die bürgerliche Seele: Kann das wirklich sooo einfach sein?

"Warum denn nicht?", fragt der nun ins Spiel kommende logische Verstand, "schließlich bin ich - als Verstand - zu gleichen Teilen an der Inszenierung und mehr noch an deren Argumentation beteiligt."

 

Der Normalo schließt für einen kurzen Moment die Augen, nein, nicht aus Müdigkeit, sondern wegen der Konzen-tration auf das Gesprochene, das nun die Vormundschaft übernimmt.

Das Gesprochene trifft punktgenau den Kern des "perpetuum mobilés". Erst in langsamer, dann in immer schnellerer Folge werden Worte, Sprüche, Statements, Weisheiten, Feststellungen aus Mündern ausgestoßen. "Was ist Zeit?" "Termine?" "Ob überhaupt oder ob nicht." "Also ob ob." " Es ist immer das-selbe." "Und wenn etwas passiert?"   "Passiert's." "Und es ist wirklich nicht." "Etwas fängt an -  dann hört's auf - so ist das." "Man muss nicht aus der Haut  fahren deshalb - es steht eine einzige große lange Weile." "Es ist immer das-selbe." "Man muss immer mit Toten rechnen." "Wie rechnet man denn mit Toten?" "Wie reden wir denn?" "Man muss immer mit ..." "Etwas fängt an ..."

Und die weder philosophisch, noch kulturell beflügelte Seele stellt unvermittelt eine Verbindung zu "Gesprächen" in einer xbeliebigen Psychoanstalt her. Tatsächlich, auch hier, und das ebenso bühnenreif, wiederholen sich Sätze, mehr oder weniger mit Gehalt, die, nur auf sich selbst bezogen, keine 'Anstalten' machen, dabei auf die sich gleichfalls wiederholenden Sendungen der Anderen einzugehen. Jeder Gedankenausstoß steht für sich, einsam, isoliert, ohne Chance auf Reflektion, wohl aber angetrieben von einem tiefen Bedürfnis, sich im Raum zu etablieren - wieder und wieder. Sag' da noch einer, dass es in gewissen Anstalten an pertuum mobilés mangelt.  

 

-tja-  Take Janssen

 

 

Die andere Seele ...

 

... ist die des von Kultur und Kunst durchtränkten Intellekts.

Was ist Raum? Hat Raum einen Anfang, ein Ende? Wann beginnt ein neuer Raum, ist nicht schon ein vergangener, ein neu geborener?

Raum, bezogen auf den im An- und Um-Werden befindlichen Bau der real existierenden Kunsthalle Bremen bietet Stoff genug für den künstlerischen Leiter des Tanztheaters Bremen Urs Dietrich, das Tanzstück als spartenübergreifende Produktion mit dem Tanztheater Bremen und Mitgliedern des Schauspiel Bremen zu  inszenieren und zu choreografieren.

Zu unserer Kunsthalle: Was bedeutet Wiedereröffnung - im Hinblick auf die Gegenwart und die Zukunft, auf die ihrer und auf die unserer? Wiedereröffnung ist gleich auch schon wieder Vergangenheit. Große Philosophen wie auch Physiker haben dies schon in früher Zeit erkannt. Etwas hört auf, etwas Neues fängt an, dauert, hört wieder auf und so fort. Alles wiederholt und verändert sich, ist in Bewegung. Ein "Perpetuum Mobilé". Hier in Bremen an der Kulturmeile im Viertel.

Texte aus Friederike Roths „Abendlandnovelle“und auf den Tanz-Takt passende Franz-Schubert-Musik, live gespielt, schlagen die Brücke von den gespenstisch-geräuschlosen Tanzbewegungen zu den akustisch vernehmbaren und teils szeneerklärenden Verbaleinlagen.

 

Wohlwollend nimmt der kulturell beseelte Gast dieses verbale Vermittlungsangebot an, obwohl die Inszenierung keinerlei  Interpretationshilfe bedarf ...

... außer in den ersten Sekunden einiger Überraschungsszenen.

Nach einer äußerst turbulenten Tanzshow lichtet sich die Bühne und es bleibt nur ein einzelner Schauspieler am Bühnenrand, sitzend, sichtwärts zum Publikum. Irgendetwas löst sich nun still - zuvor unbemerkt - im Zeitlupentempo aus der Kulisse am Rand der Bühne, wälzt sich ungetüm und behäbig, einem riesigen kostümierten Schneckenkörper ähnelnd, zur anderen Seite, immer am Rand der Performancefläche.

Die Bewegungen sind fließend, man erkennt Arme, Beine, Kopf, die sich ineinander verschlingen, sich zu einem Ganzen zusammenziehen, sich wieder lösen und in immer wiederkehrendem gleichartigen Rhythmus dem Ziel, nämlich dem Dunklen, dem Undurchsichtigen näherrollen und schließlich davon lautlos verschluckt werden.

So wird die unfassbare Zeit sichtbar, nimmt Gestalt an, entstaltet sich und bleibt als Kopie im Kopf ....

So man denn will.                          

 

-tja- Take Janssen


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