Buchautor, Rechtsanwalt und Leitender Oberstaatsanwalt a.D.
Ein Mord, der keiner sein durfte
Den Ort und den Zeitpunkt unseres Treffens legen wir nur vage fest und vereinbaren eine konkrete Abstimmung per Handy um die Mittagszeit. Soviel ist gewiss, wir werden uns irgendwo in der Nähe des Hauptbahnhofes unterhalten. Heinrich Wille schlägt vor, dass er sich um 13 Uhr meldet und seinen Aufenthaltsort durchgibt.
Heute ist es kein "Versteckspiel mit Gefahrenpotenzial" mehr, aber das war mal anders. So wie in einer Phase der Ermittlungen um den Fall des ums Leben gekommenen Uwe Barschel. Barschel war
schleswig-holsteinischer Ministerpräsident, musste wegen einiger Affären - Spionage, Meineid, Korruption - sein Amt aufgeben und wurde letztlich tot in einer Badewanne in einem Genfer Hotelzimmer
aufgefunden. Die Begleitumstände seines Todes waren und sind immer noch mysteriös. Bis heute ist faktisch ungeklärt, ob es sich um Mord oder um Selbstmord handelte.
Heinrich Wille war als Oberstaatsanwalt jahrelang Leiter der ermittelnden Behörde im Todesfall Barschel. Seine Ansicht ist eindeutig: Es war Mord. Darüber hat Wille ein Buch verfasst mit dem
Titel "Ein Mord, der keiner sein durfte - Der Fall Uwe Barschel und die Grenzen des Rechtsstaates".
Über den Todesfall und die Ermittlungen ist viel berichtet worden. Autor Heinrich Wille ist nicht erst seit Erscheinen seines Buches im November 2011 ein gefragter Interviewpartner und
Talkshow-Gast fast aller relevanten Medien und TV-Sender (s. auch Print-Ausgabe TOPIC life).
Im Oktober 2012 jährt sich der Todestag Barschels zum 25. Mal und gewinnt neue Brisanz und Medienaufmerksamkeit aufgrund aktuell durchgeführter DNA-Analysen.
TOPIC life möchte mehr über die menschliche Seite des damaligen Chef-Ermittlers erfahren und traf sich mit ihm zu einem Gespräch - ohne Gefahr für Leib und Leben beiderseits
... -tja-
Das Foto von einem voll bekleideten in der Badewanne liegenden Toten ging 1987 um die Welt. "Stern"-Reporter hatten Uwe Barschel in dem Zimmer eines Genfer Hotels gefunden. Eine Obduktion ergab, dass der Tod durch ein Medikamentencocktail eingetreten war. Am Tag darauf sollte Barschel vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss in der "Barschel-Affäre" aussagen.
Der inzwischen pensionierte Leitende Oberstaatsanwalt Heinrich Wille und auch die Witwe von Uwe Barschel schließen einen Suizid ebenso wie Sterbehilfe aus. Wille hat seine Ansichten in seinem
Buch "Ein Mord, der keiner sein durfte" im Herbst 2011 veröffentlicht.
TOPIC: "Bedeutet die aktuelle Situation, die DNA-Analyse, nun eine Wende in Richtung Ihrer These?"
WILLE: "Die Entwicklung ist im Grunde nichts Neues, man hat vielleicht ein Beweismittel mehr, aber keine Spur, die mit den Beweismitteln korreliert, das war ja gerade das Problem, dass es keine
Tatspuren gab, die auf einen bestimmten Täter oder einer Tätergruppierung hinführten."
TOPIC: "Mit Ihrem Buch gehen Sie schon ins Eingemachte und sehen ganz klar eine Mordtat. Wann begann für Sie die Aufarbeitung in Form eines Buches ?"
WILLE: "Anfang 2007 ... das war das Jahr des zwanzigsten Todestages. Da kamen eine ganze Reihe von Journalisten, teilweise schon im Jahr 2005, und stellten Fragen ... das brachte mich, der ich ja
die Fragen zu beantworten hatte, in die Situation, mich wieder mit dem Thema zu beschäftigen ..."
TOPIC: "Vorher hatten Sie nicht daran gedacht, den Fall und die Widerstände, die Sie erlebten, in Buchform zu bringen?"
WILLE: "Das Thema war Vergangenheit für mich, es waren immerhin sieben, acht Jahre vergangen und ich hatte ja genug andere Probleme zu bewältigen als Behördenleiter, es waren also eigentlich die Journalisten, die mich veranlassten, mich wieder sehr intensiv mit dem Fall zu beschäftigen. Dazu hat die Öffentlichkeit auch ein Anrecht."
TOPIC: "Es war nicht so, dass der Fall, der unaufgeklärte, Sie verfolgt hat?"
WILLE: "Es war schon ein sehr bemerkenswerter Fall, ein in meinen Augen mysteriöser Mord, ein ungewöhnliches Geschehnis, das in der Bundesrepublik Deutschland weder vorher noch hinterher in
vergleichbarer Weise passiert ist und ausnehmend viel Zeit von mir und von meinen damaligen Mitarbeitern in Anspruch nahm ... und außerdem: die Strukturen, die hinter dem Mord gesteckt haben, gab
es ja auch 2007 noch und sie gibt es immer noch."
TOPIC: "Obwohl einige Personen dieser Strukturen sicher nicht mehr unter uns weilen ..."
WILLE: "... schon aus rein biologischen Gründen ..."
TOPIC: "Kann man sagen: das Medieninteresse hat Sie eingeholt und Sie als Autor aktiv werden lassen?"
WILLE: "Das kann man so nicht sagen. Die Medien haben zwar die Voraussetzung dafür gegeben, ich merkte aber an den Fragen und den Berichten, dass die Geschichte ja nie vollständig und im
Zusammenhang an die Öffentlichkeit kam und die Dinge, die mir wichtig waren, nicht unbedingt die der Medien waren. Dazu gehören beispielsweise grandiose Indiskretionen, die Mitarbeiter sogar in
Lebensgefahr gebracht haben und von denen die Medien profitierten, wie zum Beispiel das Flensburger Tageblatt oder später auch der Spiegel. Mir
war und ist wichtig, die verschiedenen Interessen offen zu legen."
TOPIC: "Waren Sie selbst und Ihre Familie in lebensbedrohlichen Situationen aufgrund Ihrer Ermittlungen?"
WILLE: "Irgendwann haben Experten der Polizei offiziell festgestellt, dass wir zum Kreis der 'gefährdeten Personen' gehören."
TOPIC: "In dieser Zeit passierte die Geiselnahme Ihrer Frau ..."
WILLE: "Darüber möchte ich jetzt nicht sprechen."
TOPIC: "Warum nicht?"
WILLE: "Das geht mir zu nahe."
TOPIC: "Müssen Sie heute noch eine Waffe tragen?"
WILLE: "Das ist hoffentlich überstanden."
WILLE: "Die Belastung war schon exorbitant, weil ich ja noch die Behörde zu leiten hatte, das war mein Hauptjob. Der Fall Barschel lief quasi nebenher und ich hatte die Auseinandersetzungen mit meiner vorgesetzten Stelle, der Generalstaatsanwaltschaft zu führen, was an sich schon sehr ungewöhnlich ist ... in solchen Dingen hatte ich zwar schon Erfahrung als ehemaliger Wirtschaftsstaatsanwalt, doch der Konflikt mit den eigenen politischen Freunden war ungleich schwieriger."
TOPIC: "Dennoch hat der damalige Justizminister den Entschluss des Generalstaatsanwalts, Ihnen die Leitung des Falles Barschel zu entziehen, einen Tag später revidiert. Womit lässt sich dies
erklären?"
WILLE: "Es war offensichtlich, dass Menschen, die mit der Art und Weise, wie der Generalstaatsanwalt mit mir umging, nicht einverstanden waren und sich demnach wohl beim Justizminister Gehör
verschafft hatten. Das hat mich sehr gefreut."
TOPIC: "Wer hat hier interveniert, waren es Parteigenossen, Gewerkschaftler oder kamen die Einwände von ausländischer Seite?"
WILLE: "Ich kann es nicht sagen. Ich weiß bis heute nicht, wer es war. Auch das gefällt mir besonders, weil es ganz klar war, dass es keine persönlichen Freundschaften waren, aber es muss oder
müssen ja Personen mit Einfluss gewesen sein, wenn sich der Minister, der ja ein langjähriger Profipolitiker und ein abgebrühter Hund war, davon beeindrucken ließ."
TOPIC: "Woher nahmen Sie die Motivation, die Sache durchzuhalten ... von nahen Freundeskreis, von Gleichgesinnten?"
WILLE: "Motivation ... dazu brauche ich weder Freunde noch gutmeinende Vorgesetzte ... das ist mein Beruf. Das ist schlichte Pflichterfüllung wie ich sie verstehe. Ich bin Staatsanwalt geworden,
weil ich kämpfen wollte für die Gerechtigkeit in diesem Staat."
TOPIC: "Aber von Fakten allein kann der Mensch nicht leben. Es gab persönliche Angriffe und Beleidigungen, haben Sie da Freunde gebraucht?"
WILLE: "Man ist immer glücklich, wenn es Kollegen gibt, die am selben Strick ziehen, sowohl die Kriminalbeamten, die an dem Fall gearbeitet haben bis hin zum damaligen Polizeichef Tabarelli, weil
einfach die Professionalität und der Einsatz vorhanden war, so wie ich es mir wünschte und es sein muss ... auch das Engagement der Staatsanwälte, die an diesem Fall dran waren, wie Staatsanwalt
Sela, später Oberstaatsanwalt ... das alles führte dazu, dass ich dann das gute Gefühl hatte, auf dem richtigem Weg zu sein."
TOPIC: "In Ihrem Buch danken Sie Ihrer Frau für ihre Geduld. Wie hat Ihr Job und besonders dieser Fall Ihr Familienleben beeinträchtigt?"
WILLE: "Man muss sehen, wie man seinen Tag strukturiert, also wie man die so genannte Arbeitsverdichtung, die mörderisch sein kann, in eine Form bringt. Es gab ja auch andere Verfahren, um die
ich mich zu kümmern hatte. Aber auf einige meiner Mitarbeiter war der Druck so stark, dass sie krank wurden ... Depressionen, Krebserkrankungen bis zum Todesfall ... was man in Zusammenhang
bringen kann oder auch nicht."
TOPIC: "Hatten und haben Sie für sich selber ein lebenserhaltendes Rezept?"
WILLE: "Allein die räumliche Distanz vom Zuhause zum Arbeitsplatz war mir wichtig und mir vergönnt ... die räumliche war auch die innere Distanz. Die Fahrt durch das schöne Holstein konnte mich
aufbauen, die Ostsee vor sich sehen, in der sich morgens die aufgehende Sonne spiegelt, abends das Abendrot ... was einen die Sache in einem versöhnlicheren Licht sehen lässt ... dann verfliegt
ein Teil der alltäglichen Last. Das war eine fantastische Erfahrung, die ich machen
durfte."
-tja-
Heinrich Wille heute: www.rechtsanwalt-h-wille.de